Ein Wahlaufruf
Es sind Pfarrgremienwahlen. Wir wählen Mitchristinnen und -christen, die uns in den Gremien der Pfarrei vertreten. Bitte nehmen Sie an der Wahl teil! Es ist wichtig, dass wir unsere Stimme abgeben, schon damit wir zeigen, dass wir eine haben.
„Die Kirche ist keine Demokratie.“ Das kann man derzeit häufig lesen. Die einen äußern diesen Satz mit dem Bedauern, dass die katholische Kirche Standards missachtet, die in allen gesellschaftlichen Bereichen heute selbstverständlich sind. Die anderen behaupten eine vermeintlich unveränderliche heilige Ordnung, um Veränderungen abzuwehren. In jedem Fall ist es nur die halbe Wahrheit. Die Kirche hatte immer schon demokratische Züge: Abstimmungen, auch über Glaubensfragen, Wahlen von Amtsträgern gab es zu allen Zeiten. Man muss sogar sagen: Mit mehr Demokratie kommt die Kirche zu sich selbst.
Das zeigt schon die Bezeichnung, die die griechisch sprechenden Anhängerinnen und Anhänger Jesu ihrer Gemeinschaft gaben: ekklesía. Über das Lateinische ist diese Vokabel in den romanischen Sprachen zum Wort für „Kirche“ geworden: église (frz.), iglesia (span.), chiesa (it.). Es handelt sich einmal um einen Ausdruck, der im griechisch übersetzten Alten Testament für die „Versammlung“ (Gottes), nämlich das Volk Israel verwendet wird. In den Städten des östlichen Mittelmeerraums, in dem die Christengemeinden wuchsen, hatte das Wort ekklesía aber auch eine konkrete politische Bedeutung. So nannten die Griechen schon seit Jahrhunderten die Volksversammlung, die regelmäßige Zusammenkunft aller Bürger, die sich berieten und Entscheidungen trafen. Auch wenn unter der Herrschaft der römischen Kaiser die Zeit der starken Demokratien längst vorbei war: Die Volksversammlung blieb das demokratische Element der Stadtverfassungen. Anders als in Rom war im griechischen Osten die ekklesía ein Ort, an dem jeder Bürger mitreden und abstimmen und nicht nur Beschlüsse der Magistrate oder des Stadtrats abnicken musste. Dieser demokratisch gefärbte Begriff schien den frühen Christen eine passende Bezeichnung zu sein für ihre Zusammenkünfte und ihre Gemeinschaft.
Man kann daher sagen: Kirche heißt Demokratie, auch wenn das zugegebenermaßen recht zugespitzt klingt. Faktisch ist das demokratische Wesen unserer Kirche ja eher ein kleines Pflänzchen. Gerade auf der Ebene der Pfarrei sind die Mitwirkungsmöglichkeiten der Gremien aber nicht zu unterschätzen. Es kommt allerdings – wie auch in der politischen Sphäre – darauf an, dass sie mit Leben gefüllt werden. Sich an der Wahl zu beteiligen ist ein kleiner Beitrag dazu. In diesem Sinn lassen sich Willy Brandts Worte ummünzen: Lassen Sie uns mehr Kirche wagen!
Erschienen im Newsletter der Dompfarrei Pax Christi am 5. Oktober 2023.