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Zu viele Gottesdienste

Provokant fordert die Pfarrerin Hanna Jacobs daher in Christ & Welt (19/2024): Schafft den Gottesdienst am Sonntag ab! Auch wenn ich das so scharf nicht formulieren würde: die Richtung stimmt. In unserer Stadtpfarrei könnten wir mit weniger, dafür besser besuchten Gottesdiensten mehr Strahlkraft entwickeln.

So lange es noch geht, findet in jeder Gemeindekirche ein Sonntags- und ein Werktagsgottesdienst statt. So lautet der common sense in meiner Pfarrei seit der Fusion vor acht Jahren. Die Frage, ob es noch geht – oder schon nicht mehr, wenn regelmäßig und nicht nur in der Ferienzeit auf Pensionäre zurückgegriffen wird, diese Frage ist vermutlich schon falsch gestellt. Denn die flächendeckende Versorgung mit Gottesdiensten bei teils sehr geringer Zahl der Mitfeiernden hat natürlich ihren Preis: Zeitliche Ressourcen könnten anders eingesetzt werden um Angebote zu entwickeln für Menschen, die auf der Suche sind, aber von einem klassischen Gottesdienst nicht erreicht werden. Jugendgottesdienste? Glaubensgesprächskreise? Gibt es nicht (mehr). Auch für die bestehenden Kerngemeinden könnten weniger, aber besser besuchte Gottesdienste ein Gewinn sein. Erbauend ist es nicht, wenn wenige Menschen sich in einem zu großen Kirchenraum verlieren.

Jacobs analysiert, dass das Festhalten am Standardmodell nicht nur an der Prägung der Pfarrerinnen und Pfarrer liegt:

„Ironischerweise ist das auch ein Symptom des andauernden Schrumpfungsprozesses, denn anhand der Ratio ein ‚Gottesdienst pro Kirche‘ können personelle Ressourcen relativ vergleichbar verteilt werden. Fusionieren zwei Gemeinden, wird penibel darauf geachtet, dass die sogenannte ‚gottesdienstliche Versorgung‘ in allen bestehenden Kirchengebäuden aufrechterhalten wird, und zwar gerecht verteilt. Für Gottesdienste im wöchentlichen Wechsel oder nacheinander fällt dann halt etwas anderes weg, der Kindernachmittag oder das Seniorenfrühstück.“

Um einen Schritt nach vorne zu machen, braucht es daher nicht nur Lernbereitschaft und Phantasie der Seelsorger (Seelsorgerinnen haben wir in unserer Pfarrei bald nicht mehr). Sondern die Gemeinden und ihre Vertreterinnen und Vertreter sind genauso gefordert, beweglicher zu werden und eigene Schwerpunkte zu entwickeln.

Mehr Kirche wagen

Ein Wahlaufruf

Es sind Pfarrgremienwahlen. Wir wählen Mitchristinnen und -christen, die uns in den Gremien der Pfarrei vertreten. Bitte nehmen Sie an der Wahl teil! Es ist wichtig, dass wir unsere Stimme abgeben, schon damit wir zeigen, dass wir eine haben.

„Die Kirche ist keine Demokratie.“ Das kann man derzeit häufig lesen. Die einen äußern diesen Satz mit dem Bedauern, dass die katholische Kirche Standards missachtet, die in allen gesellschaftlichen Bereichen heute selbstverständlich sind. Die anderen behaupten eine vermeintlich unveränderliche heilige Ordnung, um Veränderungen abzuwehren. In jedem Fall ist es nur die halbe Wahrheit. Die Kirche hatte immer schon demokratische Züge: Abstimmungen, auch über Glaubensfragen, Wahlen von Amtsträgern gab es zu allen Zeiten. Man muss sogar sagen: Mit mehr Demokratie kommt die Kirche zu sich selbst. 

Das zeigt schon die Bezeichnung, die die griechisch sprechenden Anhängerinnen und Anhänger Jesu ihrer Gemeinschaft gaben: ekklesía. Über das Lateinische ist diese Vokabel in den romanischen Sprachen zum Wort für „Kirche“ geworden: église (frz.), iglesia (span.), chiesa (it.). Es handelt sich einmal um einen Ausdruck, der im griechisch übersetzten Alten Testament für die „Versammlung“ (Gottes), nämlich das Volk Israel verwendet wird. In den Städten des östlichen Mittelmeerraums, in dem die Christengemeinden wuchsen, hatte das Wort ekklesía aber auch eine konkrete politische Bedeutung. So nannten die Griechen schon seit Jahrhunderten die Volksversammlung, die regelmäßige Zusammenkunft aller Bürger, die sich berieten und Entscheidungen trafen. Auch wenn unter der Herrschaft der römischen Kaiser die Zeit der starken Demokratien längst vorbei war: Die Volksversammlung blieb das demokratische Element der Stadtverfassungen. Anders als in Rom war im griechischen Osten die ekklesía ein Ort, an dem jeder Bürger mitreden und abstimmen und nicht nur Beschlüsse der Magistrate oder des Stadtrats abnicken musste. Dieser demokratisch gefärbte Begriff schien den frühen Christen eine passende Bezeichnung zu sein für ihre Zusammenkünfte und ihre Gemeinschaft.

Man kann daher sagen: Kirche heißt Demokratie, auch wenn das zugegebenermaßen recht zugespitzt klingt. Faktisch ist das demokratische Wesen unserer Kirche ja eher ein kleines Pflänzchen. Gerade auf der Ebene der Pfarrei sind die Mitwirkungsmöglichkeiten der Gremien aber nicht zu unterschätzen. Es kommt allerdings – wie auch in der politischen Sphäre – darauf an, dass sie mit Leben gefüllt werden. Sich an der Wahl zu beteiligen ist ein kleiner Beitrag dazu. In diesem Sinn lassen sich Willy Brandts Worte ummünzen: Lassen Sie uns mehr Kirche wagen!

Erschienen im Newsletter der Dompfarrei Pax Christi am 5. Oktober 2023.

Als Pfarrei zukunftsfähig werden

Die Zahl der Profis in der Seelsorge geht im Bistum stark zurück. Was heißt das für unsere Pfarrei?

Die Personalverantwortliche des Bistums Speyer, Ordinariatsdirektorin Christine Lambrich, hat am 20. Juni 2022 den Pfarrei- und Verwaltungsräten einen Brief geschrieben. Er informiert über über den massiven Rückgang der Zahl der Seelsorgerinnen und Seelsorger in unserem Bistum.

  • Sie kündigt an, dass Stellen nicht nachbesetzt werden können.
  • Anfang 2023 wird der Stellenplan angepasst, „lediglich ein Versuch […], den Mangel […] einigermaßen gerecht aufzuteilen“.
  • Sie appelliert an die Ehrenamtlichen in den Pfarreigremien: „Überlegen Sie zusammen [mit dem Pastoralteam] in einem guten Geist, welche Veränderungen nun angebracht sind.“
  • Auch der Strategieprozess werde nicht zu mehr Personal in den Pfarreien führen.
  • Sie fordert uns auf, junge Menschen zum Theologiestudium zu ermutigen.

Unmittelbar wirkt die ausgesprochen enge Personalsituation sich auf unsere Pfarrei, die Dompfarrei Pax Christi, in diesem Sommer glücklicherweise nicht aus: Die Stelle unseres Diakons wird nachbesetzt und außerdem bekommen einen „25%-Kooperator“. Welche Konsequenzen der neue Stellenplan mittelfristig für uns haben wird, kann ich nicht absehen.

Den Appell, gemeinsam Veränderungen in Angriff zu nehmen, möchte ich voll unterstützen. Ich möchte ihn aber auch gerne erweitern. Christine Lambrich weist darauf hin, dass mit weniger Personal das „Angebot“ reduziert werden sollte. Ich verstehe, was sie meint, aber es klingt mir zu sehr nach einer Konstellation von einem Dienstleister, der seinen Kunden erklären soll, wer jetzt nicht mehr beliefert wird. Daher beschwört sie auch den „guten Geist“, damit wir keine Verteilungskämpfe führen. Ich meine, wir sollten uns auf diese Logik gar nicht erst einlassen.

Wir brauchen Profis, die uns (und andere) im aktiven Christsein unterstützen, ermutigen, qualifizieren – und auch korrigieren.

Wir sind allesamt Kirche Jesu Christi und jeder und jede soll mit seinen/ihren Gaben und in seiner/ihrer Position dazu beitragen, dass wir alle – als Gemeinschaft und individuell – die Gute Nachricht bezeugen, feiern, leben. Wir brauchen keine Profis, die uns das, was unser Job ist, als „Angebot“ abnehmen! Wir brauchen Profis, die uns (und andere) im aktiven Christsein unterstützen, ermutigen, qualifizieren – und auch korrigieren. Das ist die Hirtensorge, auf die die Bezeichnung „Pastoralteam“ hinweist. Unser Hirtenteam soll den Überblick haben über die ganze Herde und dabei jedes einzelne Tier im Blick haben. Das ist viel – und noch nicht alles! Genauso nötig ist, dass unserer Seelsorger*innen Muße haben für das Entwickeln von Ideen, für den Austausch und für das Gebet. Das ist möglich, weil das Hirtenteam nicht allein ist: Letztlich hat jede*r Christ*in durch die Taufe alle Anteil an dem einen Hirten, Christus, und ist deshalb mitverantwortlich für das Ganze. Der Pfarreirat ist der kirchenrechtlich vorgesehene „Pastoralrat“ auf der Ebene der Pfarrei – und hat an dieser Hirtensorge ganz offiziell Anteil.

Auf die Frage, um welche Veränderungen es uns, dem Pfarreirat, zusammen mit dem Pastoralteam gehen muss angesichts der begrenzten Arbeitszeit eines überschaubaren Pastoralteams, fallen mir drei Perspektiven ein:

Die Seelsorger*innen von anderen Aufgaben entlasten

Bevor der Pfarreirat unterstützen kann, ist das Pastoralteam selbst gefordert: zu analysieren, wie viel Zeit in Tätigkeiten gesteckt wird, die ihrer Natur nach auch vom Pfarrbüro oder von ehrenamtlichen Kräften übernommen werden können. Dienstpläne für Ministranten schreiben? Die Raumbelegung in einem Gemeindezentrum managen? Dazu braucht man keinen pastoralen Profi. Die Sorge um die Gebäude sollte dem Pfarrer idealerweise nur während der Sitzungen des Verwaltungsrats berühren. Wenn das nicht möglich ist, dann haben wir vielleicht zu viele Gebäude in Relation zu den Menschen, die bereit sind, sich dafür zu engagieren – und angesichts einer Regionalverwaltung, die offenbar nicht so gut unterstützen kann, wie sie sollte. Weil auch die Arbeitszeit der Sekretärinnen begrenzt ist, gehört zu dem ersten Schritt konsequenterweise auch eine Analyse der Büroaufgaben. Das Bischöfliche Ordinariat bietet Unterstützung bei der Erstellung von Aufgabenbeschreibungen. Vielleicht gibt es auch hier Tätigkeiten, die ein Ehrenamtlichenteam übernehmen könnte, etwa die Geburtstagsgeschenke für Senior*innen. Wenn die Analyse geschehen ist, dann können wir gemeinsam überlegen: Wer kann was übernehmen, damit die die Seelsorger*innen frei werden für die Seelsorge? Wofür sich niemand einsetzen will, davon können wir uns wohl trennen.

Ehrenamtlich Tätige befähigen

Wir brauchen ehrenamtliche Arbeit nicht, um ein vordefiniertes oder schon immer bestehendes „Angebot“ aufrechtzuerhalten, sondern weil es zur aktiven Teilnahme (oder treffender: „Teilgabe“) jeder Christin und jedes Christen gehört, seine Begabungen einzubringen. In dieser Hinsicht bleiben wir meines Erachtens weit hinter den Möglichkeiten zurück. Der Rückgang der hauptamtlichen Kräfte kann insofern auch als Chance für ein Umdenken verstanden werden. Vielleicht würde es helfen, bei allem (!), was Seelsorgerinnen und Seelsorger tun, die Frage zu stellen: Wie können andere Menschen sich einbringen, wie können sie an dieses Aufgabenfeld herangeführt werden, für diese Aufgabe qualifiziert werden? Von wenigen, geweihten Personen vorbehaltenen Aufgaben abgesehen, ist grundsätzlich eine zumindest unterstützende Tätigkeit von Ehrenamtlichen möglich und auch sinnvoll. Konsequent beherzigt, könnte dieser einfache Gedanke unser Pfarrleben transformieren. Leicht würde das nicht, weil es erst einmal einfacher ist, etwas selbst zu machen, als andere an diese Aufgabe heranzuführen. Und bestimmt muss man auch erst einmal lernen, wie das geht. 

Neben der Ermutigung und Qualifizierung von Ehrenamtlichen zur Aktion ist eine zweite, fundamentalere Ebene nötig, die in unserer Pfarrei ganz unterentwickelt ist: die Gründung und Begleitung von Gruppen, in denen über Glauben und Leben gesprochen wird (Haus-, Familien- oder Bibekreise). Ziel ist die Mündigkeit: Wer sich als aktiver Christ versteht, sollte sprachfähig sein über seinen Glauben – und damit auch einen reflektierten Bezug haben zur Quelle seiner Motivation. Unsere Seelsorgerinnen und Seelsorger können solche Gruppen initiieren und unterstützen. Leiten brauchen sie sie dann nicht.

Gemeinsam und für alle handeln

Damit wir uns nicht verzetteln, brauchen wir eine funktionierende Zusammenarbeit. Das Pastoralteam braucht genug Entlastung für ein wöchentliches Teamgespräch. Es braucht auch genug Entlastung, damit alle Seelsorger*innen immer am Pfarreirat teilnehmen können. Auch eine Teilzeitkraft sollte wirklich mitverantwortlicher Teil des Teams sein und nicht nur bestimmte liturgische Jobs übernehmen. Auch der Kontakt zur kategorialen Seelsorge ist wichtig. Initiativen auf Pfarreiebene müssen im Team und im Pfarreirat kritisch diskutiert werden. Das bricht keinem einen Zacken aus der Krone, sorgt stattdessen für breite Unterstützung und Nachhaltigkeit im Einsatz der Ressourcen.

Gemeindeausschüsse als lokale Koordinations- und Aktionsgruppen leisten einen Dienst für die ganze Pfarrei: Gemeinschaftsbildung braucht eine Ebene der Vertrautheit, wie sie in einer Gemeinde auf der Basis von Nachbarschaft und Bekanntschaft gegeben ist. Aber der Adressatenkreis ist in der Regel größer – und das ist entscheidend. Ein Gottesdienst, eine Veranstaltung in einer anderen Gemeinde als meiner eigenen ist dennoch unser Gottesdienst, unsere Veranstaltung. Wir machen einander deshalb keine Konkurrenz, sondern laden einander ein. 

Wenn wir uns bewusst machen, was unserer Pfarrei als Kirche vor Ort ist und sein soll, können wir der Logik des Kampfes um knappe Ressoucen entgehen. So entsteht nicht einfach eine verkleinerte Form unserer bisherigen Pfarrei, sondern eine neue, zukunftsfähige Pfarrei. Gerade weil wir in der Stadt Speyer zunächst noch keine personellen Einbußen haben, sollten wir die die nötigen Schritte jetzt mutig angehen.